Silvio Hagemann ist seit Ende 2013 Fachbereichsleiter Wohnen der Deutschen Kreditbank AG, zuvor arbeitete er 10 Jahre im Vertrieb. In der Kundengruppe Wohnen der DKB umsorgen mehr als 150 Mitarbeiter an 27 Standorten Wohnungsunternehmen, bestandshaltende Investoren und Bauträger in ausgewählten Zielregionen. Die DKB verzeichnet die höchsten Marktanteile bei den Wohnungsunternehmen. Fast zwei Drittel der Wohnungsunternehmen Deutschlands stehen mit der DKB in einer Geschäftsbeziehung. Die DKB setzt sich als Bank der Wohnungswirtschaft das Ziel, mehr als nur ein Fremdkapitalgeber zu sein. Zu ihren Angeboten zählen virtuelle Konten, Refinanzierungsmodelle, die Einbindung von Förderdarlehen und EDV-technische Lösungen rund um die Bewirtschaftung und Verwaltung von Immobilienbeständen.
COMPEON: Herr Hagemann, als Leiter der Kundengruppe Wohnen in der DKB sind Sie Experte für das wohnwirtschaftliche Segment und verantwortlich für die Kundengruppen Wohnungsunternehmen, bestandshaltende Investoren und wohnwirtschaftliche Entwickler. Die digitale Revolution erfasst auch diesen Bereich – Stichwort Smart Cities: Wie beurteilen Sie diese Entwicklung und wie sieht es von Seiten der Finanzierung ganzheitlicher und komplexer Projekte bei diesem Thema aus? Gibt es da Besonderheiten, die Projektentwickler und auch Bestandshalter berücksichtigen müssen?
Silvio Hagemann: Wenn ich den Begriff „smart cities“ höre, dann gebe ich zu, dass ich zuallererst nicht an die Städte in Deutschland denke. Unsere Städte sind mitunter 1000 Jahre alt und älter. Um eine Stadt nach heutigen Bedürfnissen und Erfahrungen „smart“ konzipieren zu können, müsste man auf der grünen Wiese eine komplett neue Stadt aufbauen. Platz dafür wäre in Deutschland vorhanden. Nachdem in vielen Teilen des Landes seit 20 Jahren nicht mehr neu gebaut worden ist und man sich bis vor etwa fünf Jahren eher mit Schrumpfung als mit wachsenden Städten beschäftigte, hat sich dieser Trend massiv umgekehrt. Es herrscht eine hohe Dynamik und die Administrationen sind überfordert.
Deshalb befinden wir uns aktuell in der Situation, dass in den Wachstumsstädten Neubaugebiete in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft werden. Ein komplett neues Verkehrskonzept schließt sich nahezu aus, weil beispielsweise keine U-Bahn-Trassen in zehn Jahren gebaut werden können, wenn man schon über zehn Jahre Vorlauf- und Genehmigungszeit benötigt. Vielmehr konzentriert sich „smart“ auf Energiekonzepte in Kombination mit modernen Wohnkonzepten. Smart wäre es auch, an die Menschen zu denken, die man in die neuen Wohngebiete „locken“ will.
»Ich sehe es kritisch, dass die Planung der sozialen Infrastruktur meist mit dem Neubau des nächsten Supermarkts im Wohngebiet endet. Wo bleiben die Kindertagesstätten, Schulen, ambulanten Kranken- und Pflegestationen, Krankenhäuser, Sport- und Freizeiteinrichtungen? «
Den Akteuren auf dem Immobilienmarkt wird es nicht leicht gemacht, wenn sie Neubauprojekte initiieren. Wenn wir in Zukunft lebenswürdige Städte und Lebensräume vorfinden wollen, muss ein Umdenken bei der Ausgestaltung der Ordnungspolitik, dem Zusammenspiel von Bürger und Investor sowie der Einbindung der Administrationen erfolgen. Ich hoffe, dass es dafür nicht zu spät ist, denn die Fehler der 70er Jahre, als in kürzester Zeit Neubaugebiete entwickelt worden sind, dürfen sich nicht wiederholen. Doch eine Stadt im bewohnten und wachsenden Zustand umzubauen und zu modernisieren, ist eine Herkulesaufgabe. Davon gibt es in Deutschland zu viele. Es wäre schön, wenn bei einer Stadt konsequent der Anfang gemacht werden würde. Das sehe ich aber leider noch nicht.
Schauen wir deshalb nach Südostasien: nach China. Die visionären Konzepte lassen sich in China anscheinend verwirklichen. 2020 soll Liuzhou Forest City fertiggestellt sein, 30.000 Einwohner beherbergen und beinahe 10.000 Tonnen CO2 und 57 Tonnen Schadstoffe pro Jahr aufnehmen. Außerdem sollen 900 Tonnen Sauerstoff produziert werden, damit nicht nur die Luftqualität verbessert, sondern auch der Artenreichtum von Vögeln und Insekten gefördert wird. Elektromobilität und der Einsatz von regenerativen Energien sind von Anfang an im Stadtkonzept berücksichtigt.
COMPEON: Die Digitalisierung hat nicht nur auf Projektentwicklungen Auswirkungen, sondern auf alle Bereiche in der Finanzbranche – das spürt man vor allem im Privatkundenbereich, aber auch Prozesse und Abläufe bei Geschäftskunden werden immer digitaler. Wo sehen Sie hier die größten Vorteile, die sich durch diesen Wandel in Zukunft für gewerbliche Kunden ergeben werden?
Silvio Hagemann: In erster Linie hält im Geschäftskundenbereich der Plattformgedanke, wie er sich seit etwa zehn Jahren im Privatkundensegment der Immobilienfinanzierung etabliert hat, Einzug. Dabei geht es nicht nur um den einfachen Konditionenvergleich und die Suche nach dem „billigsten“ Finanzierer. Auch Verhaltensweisen verändern sich. Spannend wird, inwiefern es den Banken gelingt, den Wert der persönlichen Beratung zu vermitteln. Transparenz ist wichtig, Geschwindigkeit ebenfalls. Doch das Immobilienfinanzierungsgeschäft erfordert auch Vertrauen. Mehrwerte können nur geschaffen werden, wenn ganzheitlich gedacht und agiert wird. Für die Kunden wird es eine spannende Zeit. Drei Monate nach Finanzierungsantrag auf einen Kreditvertrag zu warten, sollte der grauen Vergangenheit angehören. Dort setzen Plattformen an und können dem Kunden Zeit sparen sowie Transparenz schaffen.
COMPEON: In Fachmedien ist immer häufiger von einer Immobilienblase die Rede, die zu platzen droht. Was verbirgt sich hinter diesem scheinbar so bedrohlichen Szenario, was sind mögliche Folgen und wie können Unternehmer auf diese Situation reagieren?
Silvio Hagemann: Nun, DEN Immobilienmarkt gibt es nicht. Es gibt wachsende und schrumpfende Regionen in Deutschland, urbane und ländliche Gebiete, Innenstadt- und Stadtrandlagen, unterschiedliche Ausstattungsniveaus. Punktuelle Übertreibungen in einzelnen Teilmärkten sind dabei nicht von der Hand zu weisen. Ich halte die Preise, die aktuell in einigen Regionen für bestimmte Gebäudeklassen gezahlt werden eher für Liebhaberei. Eine allgemeine Immobilienblase kündigt sich hier aber meines Erachtens nicht an.
Denn nach wie vor bringen Investoren einen hohen Eigenkapitalanteil mit, wenn Immobilien gekauft werden. Die Banken haben zwar aufgrund der hohen Wettbewerbsdynamik einen höheren Neugeschäftsdruck, vergeben jedoch Kredite weiterhin nicht exzessiv und gehen keine überproportionalen Risiken ein.
Eine gewisse Gefahr sehe ich durch alternative Finanzierungsinstrumente, die den einen oder anderen Marktteilnehmer veranlassen, sich mit billigem Geld einzudecken. Da wir hier sehr lange Laufzeiten (über 15 Jahre) beobachten, bin ich gespannt, wofür und ob das Geld hinreichend rentierlich eingesetzt wird. Wenn damit spekuliert wird, dann wird es schmerzhafte Bereinigungen geben, wenn Märkte korrigieren.
COMPEON: Wo liegen im derzeitigen Markt die größten Herausforderungen für Banken und Finanzdienstleister – und welche Rolle können Fintechs dabei spielen?
Silvio Hagemann: In erster Linie sollten sich die Banken in ihrem Markt auskennen und weiterhin das Geschäft verfolgen, das sie gut beherrschen. Für Experimente und den Tanz auf vielen Hochzeiten wird zukünftig das Eigenkapital nicht mehr ausreichen. Profitabilität in Zeiten niedriger Zinsen ist der Dreh- und Angelpunkt. Einige Finanzdienstleister haben sich bereits in Position gebraucht und treten mit ihren Geschäftsmodellen gegen Geschäftsbanken an, andere versuchen die Kooperation.
Die Entscheidungen, Kooperationen einzugehen, Beteiligungen zu erwerben oder Eigenentwicklung voranzutreiben, sind heute in der Gewissheit zu treffen, dass nicht jeder Versuch von Erfolg gekrönt sein wird. Fintechs und Proptechs bieten Chancen, da sie innovative Ideen entwickeln, von denen die Banken gerne profitieren wollen. Fintechs können wie Schnellboote agieren, wogegen die Finanzindustrie durch Regulatorik, selbst auferlegten Regeln und volkswirtschaftliche Verantwortung einer ganz anderen Kontrolle unterliegen, was deren Geschwindigkeit und Handlungsfrequenz beeinflusst. Doch auch Schnellboote gehören zu einer Flotte, wenn das Mutterschiff den Kurs vorgibt. Wir arbeiten im Privat- und Firmenkundengeschäft mit zahlreichen Fintechs zusammen und haben dabei positive Erfahrungen gesammelt.
COMPEON: Wagen wir zum Schluss einen Blick in die „Kristallkugel“: Was werden die größten Herausforderungen sein, vor denen die gewerbliche Immobilienbranche steht – sowohl auf Seiten von Unternehmen als auch auf Seiten der Finanzdienstleister?
Silvio Hagemann: Ich sehe die größte Herausforderung, die gefühlt hohe Geschwindigkeit, die vermutlich noch gar nicht so schnell ist, in der Entwicklung mitzugehen, ohne sich vom eigenen Kurs abbringen zu lassen. Das Beispiel Smart Metering zeigt jedoch, dass viel Vorlaufzeit und Innovation notwendig sein werden, bis in jedem Haushalt diese technologischen Instrumente vorhanden sind. Die Frage des Nutzens für den Anwender darf auch nicht außer Acht gelassen werden, sonst wird sich solch ein Ansatz kaum durchsetzen.
Die Politik – auf nationaler wie auch auf Ebene der EU stellt – eine Herausforderung dar. Verlässlichkeit und Planbarkeit sind dabei unerlässlich.
Die Demographie, die eine sehr langfristige Wirkung entfaltet, wird sich nicht beeinflussen lassen. Auch wenn die Geburtenraten steigen, wird unsere Gesellschaft ihr Gesicht verändern. Die Generation der 68er geht in Rente. Der Anteil der älteren Jahrgänge in der Gesellschaft nimmt zu. Ich hoffe, wir denken bei unseren heutigen Entscheidungen noch an die Folgen, die die Kinder unserer Kinder erleben werden.
COMPEON: Wir danken Ihnen für das spannende Interview, Herr Hagemann.
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