Boris Johnson steuert sein Land in einen sogenannten harten Brexit. Die Fürsprecher brechen ihm weg, jetzt stehen sogar Neuwahlen im Raum. Die No-Deal-Lösung, also ein Austritt der Briten aus der EU ohne einen regelnden Vertrag, würde für viele direkt bemerkbare Konsequenzen mit sich ziehen. Wir erklären, welche Folgen der No-Deal-Brexit für den Mittelstand haben wird und wie Sie sich als Unternehmer dafür jetzt wappnen sollten.
Am 23. Juni 2016 sprachen sich 51,89 Prozent der Abstimmungsteilnehmer zu einem EU-Austritt Großbritanniens – für den sogenannten Brexit – aus. Die Folgen, die das mit sich zieht, sind auch aus ökonomischer Sicht enorm. Deutschland ist nach den USA der größte Importeur von Waren nach Großbritannien. Nach Zahlen des Außenwirtschaftsportals der Industrie- und Handelskammern Bayern gingen die Exporte von Deutschland nach UK bereits von 2017 zu 2018 um 2,8 Prozent zurück. Haupttreiber dieses Rückgangs sind die Exporte für Kraftwagen und Kraftwagenteile, die in diesem Zeitraum um 9,8 Prozent (2,44 Milliarden Euro) sanken.
Andere Kernindustrien wie der Maschinenbau konnten hier zwar die Verluste in der Exportwirtschaft leicht korrigieren, aber den generellen bereits einsetzenden Abwärtstrend bei weitem nicht stoppen.
Auch wenn die Importe aus Großbritannien weit geringer ausfallen als die Exporte Deutscher Unternehmen (der Warenwert aller importierten Waren lag 2018 mit knapp 37 Milliarden Euro gegen 82 Milliarden Euro beim Export deutlich unter der Hälfte), beziehen viele Händler, Hersteller und Produzenten beispielsweise ebenfalls Kraftwagen (wie die von BMW in Oxford produzierte Neuauflage des Mini Coopers) und Kraftwagenteile, chemische Erzeugnisse und Elektroartikel sowie Maschinen und Metalle aller Art aus dem vereinigten Königreich. Hier blieben die Zahlen zwar einigermaßen konstant, in den Kernbranchen mussten aber ebenfalls Verluste hingenommen werden.
Premierminister Boris Johnson wirbt derweil um eine Neuaufnahme der Verhandlungen und Änderungen in einem möglichen Brexit-Deal. Die Erfolgsaussichten dieser Versuche sind allerdings eher gering. Bleibt es bei einem harten Brexit ohne Abkommen, wird Großbritannien die EU am 31. Oktober 2019 verlassen – mit teilweise enormen Folgen für die Wirtschaft in Großbritannien und auch den deutschen Mittelstand.
Warum ein No-Deal so viel schlimmer ist als ein geordneter Brexit
Dass Großbritanniens Wirtschaft, aber auch die Wirtschaft aller Handelspartner unter einem Brexit leiden würden, ist absehbar. Ein Brexit mit einem geregelten Vertrag wie einem Handelsabkommen und ähnlichem hätte viele Unwägbarkeiten und Unsicherheiten auf Seiten deutscher und britischer Unternehmen abgebaut. Nun wird ein No-Deal-Brexit immer wahrscheinlicher. Welche konkreten Auswirkungen ergeben sich für den deutschen Mittelstand daraus, wenn der harte Brexit tatsächlich eintritt?
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Import- und Export-Zölle
Durch einen Wegfall der Waren- und Zoll-Union für Großbritannien würden WTO-Zölle in Kraft treten. Beispielsweise stehen etwa 10 Prozent höhere Steuern auf Kraftwagen und Kraftwagenteile im Raum. Dies träfe eine der deutschen Kernindustrien und kann sich bei ohnehin oben beschriebenen sinkenden Absatzzahlen bis auf die Zuliefererbetriebe auswirken. Laut Statistischem Bundesamt waren 2018 über 830.000 Menschen in Deutschland direkt in der Automobilindustrie oder bei Zulieferern beschäftigt. Weitere Branchen, die massiv von Zöllen betroffen wären: Logistik, Pharmazie- und Chemie-Industrie, Maschinenbau, Nahrungs- und Futtermittelhersteller sowie Lieferanten und Erzeuger von Rohstoffen wie Metall, Kohle, Erden und Mineralöl.
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Bürokratie für Unternehmen steigt
Exportierende Unternehmen müssen nach dem Brexit komplett neue Hürden meistern, um Produkte oder Waren nach Großbritannien liefern zu dürfen. Zollpapiere müssen ausgefüllt, Warensteuer vorab berechnet werden. Je nach Menge der Auslandsexporte müsste so sogar eine neue Fachkraft für die Kommunikation mit dem Zoll und die nötigen bürokratischen Hürden eingestellt werden. Diese Mehrkosten müssen bei weiterem Warenverkehr mitberechnet werden.
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Just-in-Time-Konzept bricht zusammen
Produktion und Vertrieb nach dem Just-in-Time-Konzept wird im Handel mit Großbritannien in sich zusammenfallen und erst nach und nach wieder etabliert werden können. Durch Zölle und Logistikhürden, die gerade in der Übergangsphase bestehen werden, werden sich Lieferzeiten mitunter massiv verlängern. Das kann sowohl für Unternehmen in Großbritannien als auch in Europa bis hin zur Existenzbedrohung gehen.
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Wechselkursschwankungen belasten den Handel und die Börse
Kursschwankungen halten bereits heute Unternehmen und Investoren in Atem. Das britische Pfund nähert sich vom Wert immer mehr dem Euro an. Dieser Trend wird sich, aller Voraussicht nach, nach einem harten Brexit noch weiter beschleunigen. UK-Importe werden dadurch voraussichtlich günstiger, durch Zölle und weitere Barrieren und Kosten wird sich dieser Vorteil des schwachen britischen Pfunds aber wieder ausgleichen. Insgesamt ist auch auf lange Sicht mit deutlich höheren Kosten zu rechnen.
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Finanzmarkt
Noch ist unklar, wie sich Bankvorschriften für Banken aus Großbritannien entwickeln werden. Britische Banken unterliegen innerhalb von Großbritannien nach einem Austritt nicht mehr dem EU-Aufsichtsrahmen. Für Bankinstitute aus Drittländern entstehen in der EU allerdings neue Auflagen in Bezug auf Eigenkapital zur Risikovorsorge, falls sie innerhalb der EU Kredite vergeben. Das könnte Finanzierungen verteuern.
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Noch unvorhersehbare Beeinflussungen von Transport, Logistik und Tourismus
Wie lange werden Waren und Rohstoffe zusätzlich unterwegs sein? Wird es zu Staus und Problemen bei der Abfertigung kommen? Sind Meetings vor Ort noch problemfrei durchführbar? Wie sich ein harter Brexit, vor allem langfristig, auf die Logistik und auf den Transport auswirken wird, ist noch vollkommen offen. Gerade für die Zeit direkt nach dem Brexit sind aber lange Wartezeiten beim Grenzübertritt äußerst wahrscheinlich. Eine Prognose hierfür ist schwer möglich.
Maßnahmen: Das sollten Sie als Unternehmer jetzt tun
Die meisten großen mittelständischen Betriebe, die konkrete Handels- oder Wirtschaftsbeziehungen nach Großbritannien unterhalten, haben bereits Notfallpläne in der Schublade, falls es zu einem harten Brexit kommt. Viele kleine und mittelständische Unternehmen könnte ein No-Deal-Austritt der Briten dagegen unvorbereitet treffen, da viele die wirtschaftliche Bedeutung Großbritanniens für ihr eigenes Unternehmen unterschätzen.
Schritt #1: Analyse bestehender und zukünftiger Geschäftsbeziehungen
Untersuchen Sie Ihre Absatzmärkte, Einkaufsmärkte, Produktionsstrecken und jeglichen geschäftlichen Kontakt, den Sie mit Großbritannien pflegen und berechnen Sie – am besten mittels Unterstützung von erfahrenen Fachkräften – die konkreten monetären Auswirkungen auf Ihren Betrieb und suchen Sie zeitnah nach alternativen Lösungen oder Märkten. Höchstwahrscheinlich müssen Sie dafür umdisponieren und Mehrkosten in Kauf nehmen.
Schritt #2: Auch Auswirkungen über Dritte beachten
Analysieren Sie nicht nur Ihre eigenen Absatz- und Einkaufsmärkte. Haben Sie auch ein Auge auf die Geschäftsbeziehungen Ihrer Kunden und Zulieferer. Falls Sie beispielsweise Waren oder Rohstoffe eines Händlers kaufen, der zum größten Teil andere Kunden aus dem United Kingdom bedient, kann der Brexit sich ebenfalls auf den Rohstoffkreislauf sowie die Preise für Sie und Ihr Unternehmen auswirken. Suchen Sie im Falle einer solchen Abhängigkeit eines Dritten bereits jetzt Alternativen und geraten so nicht selber in eine Abhängigkeit.
Schritt #3: Kaufkraftanalyse für Ihren Kundenkreis
Falls Sie bei der Analyse Ihrer Absatzmärkte zu dem Schluss gekommen sind, dass Sie trotz möglicher Zölle und Abgaben weiterhin Ihre Waren nach Großbritannien liefern möchten, sollten Sie bedenken, dass nicht nur die Preise Ihrer Produkte steigen: Es ist zu erwarten, dass die Kaufkraft der Bevölkerung und Unternehmen in Großbritannien stark sinken wird. Manche Experten gehen sogar von einer schweren Rezession aus. Ihr Kundenkreis könnte, falls es sich nicht um „krisensichere“ Produkte handelt, dadurch weiter schrumpfen.
Schritt #4: Soziale Verantwortung wahrnehmen
Haben Sie auch Ihre Fachkräfte im Blick: Für Arbeitnehmer ist diese Phase der Ungewissheit sehr belastend – sowohl für EU-Angehörige in Großbritannien als auch für Personen aus Großbritannien, die beispielsweise in Deutschland leben und arbeiten. Derzeit haben circa 100.000 das Privileg, sich als EU-Bürger auf die Mitarbeiterfreizügigkeit (gemäß Art. 45 AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) berufen zu können. Dies fällt bei einem harten Brexit weg. Je nach derzeitigem Aufenthaltstitel und individueller Lebenssituation (Ehe- und Arbeitsverhältnis) wächst der Druck auf Ihre Arbeitnehmer – auch wenn die Bundesregierung bereits eine Übergangszeit von drei bis neun Monaten im Anschluss an den Brexit plant.
Sie sollten sich als Unternehmer auch der Verantwortung bewusst sein und die möglichen Existenzängste Ihrer Beschäftigten ernst nehmen. Geben Sie Ihnen zu verstehen, dass Sie hinter Ihnen stehen und auch im Falle eines harten Brexits alles dafür tun werden, um sie als kompetente Fachkräfte zu halten.
Schritt #5: Liquidität und Sicherheiten für Übergangsphase vorbereiten
Bereiten Sie sich auch finanziell auf die mögliche Mehrbelastung, fehlende Einnahmen oder höhere Gebühren – beispielsweise in der Logistik – vor. Analysieren Sie dafür Ihre Finanzstruktur, stellen Sie sicher, dass Ihre Liquidität auch für eine länger andauernde wirtschaftliche Dürrephase reicht und klären Sie Ihre aktuelle Sicherheiten-Situation, falls Sie auf die Aufnahme von Fremdkapital angewiesen sind.
Schritt #6: Überprüfen Sie Konten und Finanzlösungen
Unterhalten Sie Konten bei britischen Banken oder beziehen Finanzlösungen von ihnen? Hier bietet es sich an, die bestehenden Verträge zu checken und auf Themen wie Kursschwankungen abzuklopfen. Seien Sie vorbereitet und wechseln falls nötig den Anbieter. Es ist empfehlenswert, Experten zu diesem Thema zu konsultieren.
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